Erinnerungen an 17 Jahre Loccum

Beitrag für die Festschrift „50 Jahre Stiftung Mitarbeit“, Bonn 2013, S.45-47

Einmal im Jahr findet in Loccum, etwa 50 km nordwestlich von Hannover, eine Tagung zur kommunalen Bürgerbeteiligung statt. Anfangs unter dem Titel „Modelle der kommunalen Bürgerbeteiligung“, heute als „Forum für Bürgerbeteiligung und kommunale Demokratie“. Seit 17 Jahren führt die Stiftung Mitarbeit gemeinsam mit der Evangelischen Akademie diese Wochenend-Veranstaltung durch, und wer einmal daran teilgenommen hat, möchte gerne wieder kommen. So jedenfalls ging es mir, als ich – noch ziemlich am Anfang der Tagungsgeschichte – zum ersten Mal dabei war.

Dabei ist die Anreise, wenn auch nicht gerade beschwerlich, so doch einigermaßen aufwendig. Nachdem man mit dem Zug über Hannover oder Minden nach Wunstorf gefahren ist, muss man in einen Reisebus umsteigen, der einen dann bis vor die Akademie fährt. Dieses Procedere hat den Nachteil, dass man nicht so einfach wieder weg kommt, weil der Bus zurück nach Wunstorf natürlich nur nach Beendigung der Tagung fährt. Aber das ist ja auch der Sinn der Veranstaltung – dass alle bis zum Ende bleiben. Einmal in all den Jahren bin ich mit dem Auto angereist, weil ich die Tagung vorzeitig verlassen musste. Die Strafe folgte auf dem Fuße: als ich mitten in der Nacht eilig zurück nach Hause wollte, handelte ich mir in der Nähe von Porta Westfalica ein Protokoll wegen zu schnellen Fahrens ein.

In den Anfangsjahren der Tagung hatte das Akademiegebäude noch nicht seine heutige Zimmerzahl. Einmal war es so voll, dass einige Teilnehmer – so auch ich – außerhalb in einem Hotel im Ort untergebracht werden mussten. Das war an sich nicht schlimm, denn der Weg von der Akademie zum Hotel führte über das idyllische Gelände des Zisterzienserklosters Loccum. Allerdings kam ich mir beim nächtlichen Gang zum Hotel mitunter so vor wie im Buch „Der Name der Rose“.

Das Kloster hat eine sehr schöne Bibliothek, die auch als Veranstaltungsort genutzt wird. Während einer Tagung trat ein klassischer Pianist auf, und die Tagungsteilnehmer erhielten die Gelegenheit, sein Konzert zu besuchen. Es handelte sich um einen Samstagabend, und nach anderthalb Tagen intensiver Beratung kann man sich vorstellen, was mir beim Anhören der getragenen Klaviermusik passierte. Ich schlief ein.

Das Gegenteil zu klassischer Klaviermusik gab es bei einer anderen Tagung. Da trat am Samstagabend ein Alleinunterhalter auf – allerdings nicht mit Hammond-Orgel, sondern mit E-Gitarre und diversen Effektgeräten. Sein Repertoire umfasste Musik von Jimi Hendrix, den Rolling Stones und ähnlichen. An diesem Abend schlief ich nicht ein, sondern hatte wunde Füße vom Tanzen.

Ein anderes Abendprogramme wurden von einem Improvisationstheater gestaltet, das die Teilnehmer ständig zum Mitmachen aufforderte. Getreu dem Motto: wir reden hier nicht nur über Beteiligung, wir machen sie selbst.

Mitmachen war auch angesagt, als bei einer Tagung die spielerische Beteiligung von Kindern auf dem Programm stand. Ein Team aus Dresden stand mit einem vollbepackten Anhänger auf der Wiese hinter der Akademie, und wer wollte, konnte mit allen möglichen Bastelmaterialien ein Modell für die zukünftige Gestaltung der Fläche bauen. Das war schon ein bemerkenswerter Anblick, distinguierte Tagungsteilnehmer mit Knetgummi, Bastelbogen und Laubsäge hantieren zu sehen.

Einen noch ungewöhnlicheren Anblick gab es, als bei einer anderen Tagung das „Theater der Unterdrückten“ von Augusto Boal vorgestellt wurde. Hier bekamen die Teilnehmer die Aufgabe, Skulpturen zu bauen – und zwar nicht mit irgendwelchen Materialien, sondern mit sich selbst. Seither weiß ich, wie man sich als „lebende Skulptur“ fühlt.

Ganz merkwürdige Gefühle beschlichen mich schließlich, als ich eines Morgens an den Frühstückstisch kam, die dort Sitzenden mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ begrüßte und nicht nur keine Antwort bekam, sondern vielmehr missbilligende Blicke erntete. Es war nicht die Zahnpasta im Gesicht oder die unvollständig geschlossene Hose, die den Unwillen der Gäste erregt hatte, sondern mein Reden. Ich war irrtümlich an den Frühstückstisch eines zeitgleich stattfindenden Schweigeseminars geraten.

Ansonsten wird bei der Loccumer Tagung nur selten geschwiegen. Im Gegenteil – es sind die vielen interessanten Gespräche mit Menschen aus ganz unterschiedlichen beruflichen Zusammenhängen, die ihren Reiz ausmachen.