Stellungnahme vor der Enquete-Kommission „Stärkung der Demokratie“ des Landtages Sachsen-Anhalt am 18. August 2017 in Magdeburg.
Ausführungen zur Frage „Sollte eine Veränderung bei dem Zustimmungsquorum zu Bürgerentscheiden und Volksentscheiden vorgenommen werden?“
Ich möchte zunächst etwas zu den Effekten eines Zustimmungsquorums sagen.
Die Tatsache, dass ein Zustimmungsquorum existiert – egal in welcher Höhe -, führt häufig zu Boykottstrategien, zu Totschweigen, zur Diskussionsverweigerung bei den Akteuren. Ich habe selbst erlebt, dass Leute gesagt haben: „Wenn ihr dagegen seid, müsst ihr gar nicht erst hingehen. Dann scheitert das schon am Quorum“. Ein solches Vorgehen ist für eine Demokratie bedenklich. Das ist so, als ob wir sagen würden: „Geht nicht zur Wahl, dann können die, die da sind, weiterregieren.“ Das führt zu Politikverdrossenheit und politischer Apathie. Das ist ein Effekt des Zustimmungsquorums, den man bedenken muss, unabhängig davon, wie hoch diese ausfallen.
In Bayern gab es eine Zeit lang gar kein Quorum. Das wurde mittlerweile vom Bayerischen Landtag wieder eingeführt. Nur die Hamburger Bezirke haben kein Quorum. Wenn man ein Quorum bei Bürgerentscheiden senken möchte – das hier in Sachsen-Anhalt ist sehr hoch -, könnten wir uns an Baden-Württemberg und Niedersachsen orientieren, die 20 % vorschreiben, oder – und das finde ich eine sehr interessante Konstruktion – zu überlegen, wie das in Brandenburg ist. Dort ist die Wahl der Oberbürgermeister und Landräte an ein Quorum gebunden. Das liegt bei 15 %. Genau dieses 15 %-Quorum ist in Rheinland-Pfalz vorgesehen. Das halte ich für eine interessante Überlegung. Bei Wahlen gibt es ein solches Quorum nicht.
Herr Kost sagte, sein Vorschlag wäre eine Staffelung. Das scheint mir sinnvoll zu sein. In Schleswig-Holstein gibt es ein gutes Beispiel. Das beginnt bei 20 % und endet bei 8 % bei den großen Städten. Das ist eine gute Lösung. Was Volksentscheide angeht, könnte man auf Schleswig-Holstein schauen. Dort hat man bei einfachen Gesetzen ein Quorum von 15 %. Bei verfassungsändernden Gesetzen haben die Bayern 25 % und die Bremer 40 %. Hamburg wurde schon genannt. Sie haben eine interessante Regelung. Sie haben es an die Wahlbeteiligung gekoppelt, wenn die Abstimmung zusammen mit einer Wahl stattfindet. Auch darüber wäre nachzudenken.
Zum Stichwort Wahl und Abstimmung sage ich noch etwas. Ein Quorum, egal, wie hoch es ist, ist dann nicht von Bedeutung, wenn die Teilnahmequoten sehr hoch sind, wenn viele Menschen mitmachen. Das ist das, was wir eigentlich wollen, dass sich Menschen an demokratischen Prozessen beteiligen, bei politischen Prozessen mitmachen. Das geht dann, wenn sie das Thema für wichtig halten, wenn sie den Sachverhalt verstehen und wenn ihnen die Abstimmung leicht gemacht wird.
Ein Leichtmachen von Abstimmung ist das Zusammenlegen mit Wahlen. Bei der Bundestagswahl haben wir demnächst mehrere Volksentscheide: in Bremen zur Änderung der Wahlperiode der dortigen Bürgerschaft, in Berlin über den Flughafen Tegel. Aber auch in vielen anderen Bundesländern gibt es auf kommunaler Ebene Bürgerentscheide, die zusammen mit der Bundestagswahl stattfinden: Duisburg, Aschaffenburg, Landshut, um einige Beispiele zu nennen. Das wird damit begründet, dass man das deshalb zusammenlegt, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen.
Ich habe ein schönes Zitat des Sprechers der Stadt Bad Oeynhausen gefunden. Dort gibt es einen Ratsbürgerentscheid. Hauptgrund für die Auswahl des Termins für den Bürgerentscheid sei die hohe Mobilisierung durch die Bundestagswahl. Es würde mich sehr wundern, wenn das geforderte Quorum nicht erreicht wird, sagt der Sprecher. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Zusammenlegung mit Wahlen gibt es in Hamburg, von der nur abgewichen werden kann, wenn die Initiatoren des Volksbegehrens dem zustimmen.
Eine weitere Möglichkeit, die Abstimmung für die Menschen, die daran teilnehmen sollen, einfacher zu machen, ist der automatische Versand der Abstimmungsunterlagen zusammen mit der Abstimmungsaufforderung, mit der Wahlbenachrichtigung die Abstimmungsunterlagen gleich mitzuschicken. Das ist in Bayern seit einiger Zeit möglich. Dort können das Kommunen im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts in der Ortssatzung vorsehen. Auch das führt – sagen erste Beobachtungen – dazu, dass die Wahlbeteiligung steigt. Es gibt eine Zahl aus der Stadt Aschheim. Dort haben 59 % per Brief abgestimmt. Insgesamt haben sich 71 % an dem Bürgerentscheid beteiligt. Das ist eine außergewöhnlich hohe Quote, die sicherlich auch damit zusammenhängt, dass die Kommune sehr klein ist. Da ist es einfacher, die Menschen zu aktivieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Thema, die Abstimmung leicht zu machen, Information und Abstimmung in leichter Sprache, den Menschen in einfacher, leichter Sprache zu sagen, worum es geht, was die Hintergründe sind. Damit hat die Stadt Mannheim gute Erfahrungen gemacht. Sie haben 2013 bei ihrem Bürgerentscheid zur Bundesgartenschau eine solche Information in leichter Sprache veröffentlicht.
Weiterhin wären aus meiner Sicht Maßnahmen zur Qualifizierung der Abstimmenden wichtig, nicht einfach zu sagen, wir haben jetzt einen Termin für eine Abstimmung für einen Bürgerentscheid oder einen Volksentscheid, dann machen wir eine Werbekampagne und Wahlkampf, wie wir das alle kennen, sondern wir qualifizieren die Wählerinnen und Wähler. Dafür gibt es zwei schöne Beispiele.
Zu den greatest Hits der Bürgerbeteiligung gehört einmal die Citizens Initiative Review in Oregon. Dort werden für eine Woche 20 bis 24 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger eingeladen, die sich zusammen die Argumente pro und kontra zu dem jeweiligen Thema anhören. Sie geben dann eine Abstimmungsformulierung vor, formulieren gemeinsam die Fragestellung, die in Deutschland manchmal ausgesprochen schwierig ist. Gerade aus juristischen Gründen stehen häufig vollkommen unverständliche Fragestellungen auf Abstimmungszetteln. Diese 24 Leute formulieren den Bericht, das „Citizens Statement“. Das wird Bestandteil einer Abstimmungsbroschüre, die alle Wählerinnen und Wähler zur Verfügung gestellt bekommen. Daraus können sie ersehen, was die Argumente sind. Das ist eine sachliche Darstellung und keine polemische oder parteiische, wie das normalerweise stattfindet. Das kann man mit dem Beispiel vermeiden.
Ein weiteres Beispiel ist die Convention on the Constitution in Irland. Das war ein großes Beteiligungsverfahren, an dem 100 Menschen teilnahmen, davon 66 zufällig ausgewählte Bürger und 33 Parlamentarier, die sich über zehn Wochen lang über die irische Verfassung Gedanken gemacht haben, darüber diskutierten, was man verändern kann. Am Ende haben sie zwei Themen zur Abstimmung gestellt, die gründlich vorberaten waren. Das eine war die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, das andere die Absenkung des Wählbarkeitsalters für den Präsidenten der Republik. Das Erste wurde vom Volk angenommen, das Zweite nicht. Aber das war ein gutes Beispiel für die Vorbereitung einer Abstimmung.
Ein letzter Punkt, den ich für sehr wichtig halte: Wir sollten versuchen, es zu schaffen, Abstimmungen überhaupt zu vermeiden, also eine Kompromissfindung zu ermöglichen. Wenn ein Bürgerentscheid, ein Volksentscheid im Raum steht, sollte man überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, noch einmal zusammen an den runden Tisch zu kommen, ein Beteiligungsverfahren zu machen, einen Kompromiss zu finden. Dafür gibt es ebenfalls gute Beispiele, zum Beispiel in Hamburg und Bayern, wo man die starren Fristen, die die Gemeindeordnung vorgibt, verlängern kann, wo man Mediatoren, Moderatoren einberufen kann, um eine Lösung zu finden. Wenn man das hat, findet man vielleicht einen Kompromiss. Dann ist die Abstimmung sogar entbehrlich.
Das sind meine Vorschläge, meine Kommentare zum Thema Zustimmungsquorum. Wenn Sie denen folgen wollen, müssten Sie im Einzelfall das eine oder andere Gesetzeswerk verändern. Sie können es auch in Mustersatzungen schreiben. Dafür gibt es viele gute Beispiele aus Deutschland.
Und hier das Ganze im O-Ton:
Das Protokoll der gesamten Anhörung mit weiteren Ausführungen und Diskussionsbeiträgen der Experten gibt es hier: https://www.landtag.sachsen-anhalt.de/fileadmin/files/aussch/wp7/e08/protok/e08004p7i.pdf
Eine Meldung zum Fachgespräch der Kommission gibt es hier: http://www.landtag.sachsen-anhalt.de/fachgespraech-in-der-enquete-kommission/
Details zur Enquete-Kommission hier: http://www.landtag.sachsen-anhalt.de/landtag/ausschuesse-gremien/ausschuesse-detailseite/ausschuss/enquete-kommission-staerkung-der-demokratie/