Interview in der Westfälischen Rundschau (Hagener Rundschau) vom 14. Oktober 2000
Hagen. „Direkte Demokratie in der Kommune“, so heißt ein Buch von Andreas Paust. Die Arbeit zur Theorie und Empirie von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden hat ihm einen Doktor-Titel eingetragen. Bekommen hat er ihn an der FernUniversität in Hagen. WR-Redakteur Klaus Görzel sprach mit dem Fürsprecher von mehr Demokratie in der Politik.
WR: Die Erfahrungen mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in NRW sind relativ frisch. Haben sie wirklich „mehr Demokratie“ gebracht?
Andreas Paust: Auf jeden Fall. Wenn irgendwo ein Bürgerbegehren oder ein Bürgerentscheid stattfindet, beteiligen sich viel mehr Menschen am Geschehen in ihrer Stadt, als das normalerweise der Fall ist. Die Initiatoren und ihre Unterstützer sammeln Unterschriften, verfassen Argumentationspapiere und veranstalten Diskussionen. Dazu kommt, dass ein Beschluss, der in einem Bürgerentscheid getroffen wurde, eine besondere Legitimation hat und viel eher respektiert wird, weil die Bevölkerung eben selbst entschieden hat.
WR: Der Wille des Bürgers muss einige Hürden nehmen, bis er zur Abstimmung gestellt und möglicherweise vom Abstimmungserfolg gekrönt ist. Müssen alle diese Hindernisse sein, damit nicht plötzlich eine Minderheit der Mehrheit ihre Politik aufzwingen kann?
Paust: Teilweise. Es ist ganz klar, dass nicht über jede Frage abgestimmt werden kann, die irgendwem in den Sinn kommt. Deshalb muss es ein sogenanntes „Einleitungsquorum“, also eine Mindestzahl von
Unterschriften, geben. Ich halte das in Nordrhein-Westfalen vorgeschriebene gestaffelte Quorum für angemessen. Richtig finde ich auch, dass die Unterschriften bei einem Begehren, das sich gegen einen
Ratsbeschluss richtet, innerhalb bestimmter Fristen, die natürlich nicht zu kurz sein dürfen, gesammelt werden müssen. Entschiedene Einwände habe ich aber gegen die letzte Hürde, das Zustimmungsquorum. Es ist meines Erachtens überhaupt nicht nachvollziehbar, dass ein Bürgerbegehren in Nordrhein-Westfalen nur gültig ist, wenn ihm 20% der Stimmberechtigten zustimmen. Bei Wahlen, die ja eine viel weitreichendere Bedeutung haben, gibt es ein solches Quorum schließlich auch nicht. So manche Bürgermeisterwahl wäre ungültig, wenn man das Bürgerentscheidsquorum auf sie anwenden würde. Dazu kommt, dass ein Quorum die Gegner des Bürgerbegehrens dazu verleitet, die ganze Angelegenheit totzuschweigen. Oder sie rufen ihre Anhänger ausdrücklich auf, die Abstimmung zu boykottieren, damit sie am Quorum scheitert. Das ist dann aber nicht mehr, sondern weniger Demokratie.
WR: Sind die Grenzen zu eng gezogen für das, was „mitbestimmungspflichtig“ ist?
Paust: Ich vertrete die Position, dass die Bürger über alles abstimmen dürfen sollten, worüber auch der Stadtrat abstimmen darf. Ich würde also z.B. die Bürger auch über einen Bebauungsplan mitbestimmen lassen, wie das z.B. in Hessen oder Bayern möglich ist.
WR: Lässt sich sagen, welche Konstellationen einem Bürgerentscheid gute Aussichten bescheren und gibt es Themen, die bei einem Entscheid noch nie erfolgreich waren?
Paust: Nach meinem Eindruck ist ganz wichtig für die Erfolgsaussichten eines Bürgerentscheids, dass die Initiatoren glaubwürdig und ihre Argumente nachvollziehbar sind. Es kommt dabei nicht so sehr darauf an, ob große und finanzstarke Organisationen dahinter stehen. Im Gegenteil gibt es Beispiele, wo trotz eines riesigen Werberummels ein Bürgerentscheid gescheitert ist. Allerdings kommt es auch darauf an, wie fair die „andere Seite“ ist. Es gibt in Nordrhein-Westfalen Fälle, wo es keine Briefabstimmung und nur wenige Abstimmungslokale gab.